Afghanistan – ein Land versinkt im Chaos

18.08.2021
Nicole Emch
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Menschenmassen, die versuchen, auf den Flugplatz zu kommen, um einen Platz in einem Flugzeug zu ergattern, das sie ausser Land bringt. Einige klammern sich sogar an startende Flugzeuge. Es sind dramatische Bilder, die uns in diesen Tagen aus Afghanistan erreichen. Wieder einmal muss man leider sagen. Vor 20 Jahren waren amerikanische Truppen und ihre Verbündeten im Land einmarschiert und hatten zum Sturz der Taliban beigetragen. Jetzt wo die letzten Soldaten aus dem Westen abgezogen werden, kehrt sich das Bild. Die Taliban sind zurück an der Macht, was viele in Angst und Schrecken versetzt.

Afghanistan ist ein wunderschönes Land mit zahlreichen Bergen (die rund drei Viertel des Landes bedecken), Tälern und Flüssen. Doch seit Jahrzehnten trüben zahlreiche Konflikte und Kriege das Bild. Schon im kalten Krieg in den 80er Jahren fanden Auseinandersetzungen statt. Die Sowjetunion (das heutige Russland) marschierte 1979 ein, die von ihr unterstütze Regierung wurde jedoch von islamischen Guerillas (Mudschaheddin) besiegt, die wiederum von den USA unterstütz wurden. Verschiedene Gruppierungen bekämpften sich immer wieder untereinander. Schliesslich kamen 1996 die Taliban an die Macht und regierten das Land mit einer radikalen Auslegung des Islams.

2001 kurz nach 9/11 und den Anschlägen auf verschiedene Ziele in den USA, unter anderem das World Trade Center in New York, schickte der damalige Präsident George W. Bush amerikanische Truppen nach Afghanistan. Die USA machten Mitglieder des Terrornetzwerks Al-Qaida, das mit den Taliban verbündet war, für die Anschläge verantwortlich. Innert kurzer Zeit wurden die Taliban besiegt. Eine demokratische Regierung kam an die Macht, eine Armee wurde aufgebaut. Für viele Afghanen und insbesondere Afghaninnen fühlte sich dies wie eine Befreiung an. Die Taliban hatten mit grosser Härte geherrscht. Mit Strafen wie öffentliche Steinigungen und Auspeitschungen für zum Teil kleine Vergehen verbreiteten sie Angst und Schrecken. Frauen und Mädchen wurden aus dem öffentlichen Leben verbannt. Mädchen durften nicht mehr zur Schule gehen, die Bildung blieb den Jungs vorbehalten.

Vieles hat sich in den letzten 20 Jahren geändert. Viele Freiheiten wurden gewonnen und viele fürchten nun, dass all dies verloren geht. Innert weniger Tagen haben die Taliban nämlich nach dem Abzug der letzten Truppen aus den USA und ihrer Verbündeten, nun fast kampflos das ganze Land zurückerobert. Der Präsident Ashraf Ghani flüchtete ins Ausland.

Halten die Taliban ihr Versprechen?

Bei vielen kommen deshalb Erinnerungen an die Vergangenheit hoch. Die Angst vor einer neuen Schreckensherrschaft ist gross. Insbesondere jene, die für die Regierung, die Armee oder ausländische Truppen gearbeitet hatten, fürchten nun als Verräter und Komplizen des Westens zu gelten. Sie haben Angst vor Bestrafung. Nicht nur die Schweiz will deshalb, neben dem eigenen Personal vor Ort auch afghanische Mitarbeitende und deren Familien die Ausreise ermöglichen. Die Taliban versprechen zwar, dass niemand verfolgt werde, weil er oder sie mit ausländischen Truppen oder der Regierung zusammengearbeitet hat. Auch wollen sie die Rechte der Frauen respektieren. Der Flughafen bleibe geöffnet und Ausländerinnen und Ausländer würden geschützt. Doch viele misstrauen diesen Worten. Bisher ging die Rückeroberung des Staats mit relativ wenig Gewalt einher. Wie es weiter geht wird sich zeigen müssen.

Es bleibt die Frage, wer ist schuld an diesem Kollaps der Regierung und der Armee? Für die Republikaner in den USA ist klar, Präsident Joe Biden war nicht vorbereitet. Er habe keinen Plan für den Rückzug gehabt und die Taliban unterschätzt. Amerika habe ein „Bild der Schwäche“ abgegeben. Kommt dazu, dass das moderne US-Waffen-Arsenal nun in den Händen der Taliban ist. 1000 Milliarden Dollar hat der Einsatz in den letzten 20 Jahren gekostet, er war deshalb schon lange bei vielen Amerikanern unpopulär.

Wie reagiert die Welt?

Die internationale Gemeinschaft reagiert unterschiedlich auf die Geschehnisse in Afghanistan. Alle appellieren an die Taliban, keine Gräueltaten zu verüben und die einzuhalten. Viele versprechen, Flüchtlinge aufzunehmen und jenen Schutz zu bieten, die vor Ort für sie gearbeitet hatten. Es gibt aber auch viele kritische stimmen, die sagen, der Westen hätte in all der Zeit vor Ort nichts erreicht, angesichts der Tatsache, dass die Taliban das Land innert so kurzer Zeit wieder unter ihre Gewalt brachten. Es gibt auch Stimmen, die sagen, andere Länder dürften sich nicht in die inneren Angelegenheiten eines Staates einmischen. Tatsache ist, dass Tausende in Afghanistan sich vor den Taliban fürchten und versuchen, das Land zu verlassen. Auch in der Schweiz wird deshalb rege diskutiert, wie mit den Flüchtlingen umgegangen werden soll. Die SP und die Grünen fordern 10‘000 Flüchtlinge aufzunehmen. Die SVP hingegen möchte die Flüchtlinge in der Region in Camps in Pakistan oder Iran unterbringen. Das Kooperationsbüro der DEZA ist bis auf weiteres geschlossen.

Nun bist du dran

Wie fühlst du dich, wenn du diese Bilder aus Afghanistan siehst? Wie können wir diesen Menschen am besten helfen?

Haben die westlichen Staaten versagt? Sind sie jetzt einfach feige und lassen die Afghaninnen und Afghanen hilflos im Stich? Oder hätten sie sich besser gar nie eingemischt?

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