Arbeit für alle?

20.09.2022
Anna Deppeler
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In der Schweiz leben aktuell rund 70‘000 anerkannte Flüchtlinge. Viele beziehen Sozialhilfe, weil sie aufgrund ihres Aufenthaltsstatus‘ nicht arbeiten dürfen. Khadim S. ist am 12. Februar 2014 von Afghanistan in die Schweiz geflüchtet. Er ist 28 Jahre alt und erzählt im Interview, wie es ist, als Flüchtling in der Schweiz zu arbeiten.

Das Wichtigste in Kürze

Wenn es einfach schnell gehen soll, dann findest du in diesem Kasten die Hauptaussagen des Artikels:

  • Khadim S. ist von Afghanistan in die Schweiz geflüchtet und durfte anfänglich nicht arbeiten.
  • In Afghanistan arbeitete er als Gipser und in zwei verschiedenen Läden.
  • Als er in der Schweiz die Arbeitsbewilligung erhalten hatte, arbeitete er bei GEWA und machte eine dreijährige Lehre als Anlagenführer bei Emmi.
  • Heute arbeitet er als Schichtarbeiter bei Mondelez und überwacht den Produktionsprozess der Toblerone Schokolade.
  • Später möchte er sich zum Teamleiter weiterbilden.

Khadim, wo arbeitest du im Moment?

Seit dem 2. August 2022 arbeite ich bei Mondelez neben dem Westside in Bern Brünnen. Mondelez macht viele Produkte, bei uns machen wir Toblerone Schokolade.

Hattest du von Anfang eine Arbeit, als du in die Schweiz kamst?

Als ich neu in die Schweiz kam, durfte ich nicht arbeiten. Ich hatte einen N-Ausweis und damit darf man in der Schweiz nicht arbeiten. Im 2016 startete ich eine Arbeitsstelle mit Vertrag und durfte nach vier Tagen aber nicht mehr arbeiten. Die Migrationsstelle hatte den Arbeitsgeber informiert, dass ich sofort ins Asylzentrum gehen muss und für die vier Tage keinen Rappen Lohn erhalten darf. Dass ich damals nicht arbeiten durfte, war für mich sehr schwierig. Ich hätte lieber gearbeitet und Steuern bezahlt, als Sozialhilfe zu erhalten und nichts zu tun. Nach einem Interview im 2018, bekam ich den F-Ausweis und durfte dann arbeiten.

Bevor du in die Schweiz geflüchtet bist, hast du in Afghanistan gelebt. Hast du dort auch gearbeitet?

In Afghanistan hatte ich bis zum 10. Schuljahr die Schule besucht und dann Gipser gelernt. Mit meinem Bruder hatte ich einen Lebensmittelladen. Auch mein Vater hatte einen Laden, in dem man von Nahrungsmittel, über Kleider und Schuhe, bis hin zu Haushaltsmaterialien alles kaufen konnte. Dort habe ich neben der Schule auch oft ausgeholfen.

Wie ist die Arbeit in der Schweiz gegenüber deinem Heimatland?

Wenn ich die Schweiz mit Afghanistan vergleiche, ist die Arbeit hier einfacher. Hier ist die Sicherheit am Arbeitsplatz sehr gut. In Afghanistan habe ich auf Baustellen gearbeitet und dort achtet man nicht darauf.

Was wolltest du früher in Afghanistan werden?

Als ich klein war, wusste ich es noch nicht so genau. Ich wollte Journalist oder Filmstar werden. Als ich etwas grösser war, konnte ich besser einschätzen, wie die Situation in Afghanistan ist. Ich habe mehrere Leute gesehen, die dort nach der Uni keinen Job fanden. Ich habe den Sinn nicht gesehen, mehrere Jahre die Schule zu besuchen, ein Diplom zu kriegen und dann doch keinen Arbeitsplatz zu finden. Ich habe also mit der Schule aufgehört, bin auf einer Baustelle arbeiten gegangen und habe Gipser gelernt. Aber ich habe gemerkt, dass ich so nicht leben kann und habe dort keine Zukunft gesehen. Deshalb habe ich Afghanistan verlassen.

In der Schweiz hast du schon an mehreren Orten gearbeitet. Wo überall?

Meine erste Arbeit war eine 50%-Stelle bei der GEWA in Schönbühl. Das war eine Sozialarbeit und ich habe drei Franken pro Stunde verdient. Ich habe es trotz schlechtem Lohn gemacht, weil ich nicht den ganzen Tag im Asylzentrum bleiben wollte. Meine Aufgabe war es, Harassen zu machen. Mein Chef war sehr zufrieden, weil ich sauber und schnell arbeitete. Als ich gekündigt hatte, war er sehr traurig. Ich sei einer seiner besten Arbeiter gewesen.

Danach hatte ich für verschiedene Stellen geschnuppert: beim Coop, in einem Spital als Fachmann Gesundheit, auf einer Baustelle und als Koch. Überall bekam ich gutes Feedback, habe mich dann aber im Sommer 2018 entschieden die dreijährige Lehre als Anlagenführer bei der Emmi zu machen. In diesem Sommer habe ich aber gekündigt und bei Mondelez gestartet.

Was sind deine Aufgaben bei der Mondelez?

Ich kontrolliere den ganzen Produktionsprozess der Toblerone Schokolade. Meine Arbeit beginnt von dem Moment an, wo die Toblerone Schokolade in die Form gegossen wird. Ich beobachte, ob die Schokolade vom Tank richtig durch den Giesskopf in die Formen gefüllt wird und ich behebe Störungen, falls nötig. Dann kontrolliere ich das Gewicht, Geschmack, Farbe und Verpackung mit dem Mindesthaltbarkeitsdatum der Schokolade.

Wie sieht dein Arbeitsalltag aus?

Ich arbeite nicht immer gleich. Es gibt drei verschiedene Schichten. Die Frühschicht dauert von 6.00 Uhr bis 14.00 Uhr. Die Nachmittagsschicht startet um 14.00 Uhr und endet um 22.00 Uhr. Von 22.00 Uhr bis 6.00 Uhr ist die Nachtschicht. An einem normalen Arbeitstag arbeite ich zwei Stunden am Stück und habe dann zehn Minuten Pause. Zusätzlich habe ich eine Pausenzeit zum Essen von 30 Minuten. Im Moment arbeite ich in der Frühschicht. Ich arbeite fünf Tage am Stück, von Montag bis Freitag und habe dann Wochenende. Im Oktober arbeite ich dann zum Beispiel in der Nachmittagsschicht. Da kann es sein, dass ich manchmal sogar 6 Tage am Stück oder am Wochenende arbeite.

Wie gefällt dir deine Arbeit?

Ich arbeite sehr gerne. Das, was ich mache, mit den Maschinen, der Prozess und die Produktion gefällt mir sehr. Wie bei jeder Arbeit hat es Vor- und Nachteile. Ein Nachteil ist das Schichtarbeiten, aber das gehört dazu. Ich mag beispielsweise die Nachtschicht gar nicht, weil man am Tag schlafen muss. Ich wohne in einem grossen Block und im Moment hat es eine laute Baustelle nebenan. Wenn dort mit Bohrmaschinen gearbeitet wird, kann ich nicht schlafen. Bei der Nachmittagschicht ist es schwierig, weil man das Essen und Schlafen gut planen muss. Es gibt aber auch einen Vorteil: dass man immer den halben Tag frei hat.

Es ist manchmal schon streng mit den Schichten. Wenn meine Arbeit keine Schichten hätte, wäre es eine super Arbeit. Ich habe mich jetzt daran gewöhnt. Wie lange ich das aber machen werde, weiss ich noch nicht.

Würdest du gerne mal etwas Anderes arbeiten?

Ja, wenn es möglich ist, möchte ich mich gerne zum Teamleiter weiterbilden und nicht lebenslang als Anlagenführer arbeiten. Als Teamleiter hat man einen besseren Arbeitsplatz und regelmässigere Arbeitszeiten. Mein Ziel ist es einfach, weiterzukommen.

Was wäre denn dein Traumberuf?

Was ich sehr gerne habe, ist das Organisieren. Ich bin sehr gerne mit Leuten zusammen, plane, organisiere und präsentiere gerne. Ich habe keine Ahnung, ob es einen solchen Beruf überhaupt gibt, aber das würde mir Spass machen.

Möchtest du zum Abschluss sonst noch etwas erzählen?

Seit acht Jahren bin ich nun in der Schweiz. Diese Zeit ist schnell vorbeigegangen, war aber auch schwierig und hart. Das hatte auch damit zu tun, dass ich zuerst nicht hätte in der Schweiz bleiben und das Land hätte verlassen müssen. Glücklicherweise durfte ich aber dann doch hier bleiben. Manchmal vermisse ich meine Familie und mein Land. Aber ich bin froh, dass ich jetzt hier in der Schweiz lebe und eine sichere Arbeitsstelle habe. Ich fühle mich wirklich wohl hier. Die Lebensqualität ist sehr gut und es ist ein sicheres Land. Ich bin froh, dass ich ein Teil der Schweizer Gesellschaft bin.

Arbeitsmaterial

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