Aus den Augen aus dem Sinn

27.10.2021
Samira Lussi
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Unser Umgang mit Mode und unseren Kleidern hat sich über die letzten Jahre stark verändert. Anstelle einer Sommer- und Winterkollektion, produzieren “Fast Fashion” Marken wie H&M oder Zara bis zu 24 Kollektionen pro Jahr. Die Weltweite Textilproduktion hat sich seit dem Jahr 2000 mehr als verdoppelt und mit der Produktion an neuen Kleidern steigt auch die Anzahl der weggeworfenen Teile. Doch wo landen diese nachdem wir Altkleidersäcke stecken und welche Probleme entstehen durch unseren wachsenden Konsum?

In Deutschland kauft eine durchschnittliche Person 10 Kilogramm neue Kleider pro Jahr. Dieser stark Wachsende verbrauch wäre ohne Polyester nicht möglich. 60 Prozent aller Kleidung enthält diese Kunstfaser, die aus nicht erneuerbaren Erdöl hergestellt wird. Deren Herstellung verursacht dreimal so viele CO2 Emissionen wie die Produktion von Baumwolle und ist also sehr schädlich für unsere Umwelt. Die Modeindustrie gehört zu einer der umweltschädlichsten Industrien weltweit und emittiert 1,2 Milliarden Tonnen Treibhausgase pro Jahr. Auch für die Wasserverschmutzung sind die chemischen Stoffe verantwortlich. Durch das waschen von Kleidung in der Waschmaschine gelangen kleine Fasern an Mikroplastik in die Meere. Synthetische Stoffe sind der am häufigsten nachgewiesene Mikroplastik in Gewässern.

Es werden aber nicht nur fleissig neue Kleider gekauft, sondern auch alte gesammelt. Jährlich werden circa 1,3 Milliarden Tonnen Kleider entsorgt. Zeitgleich mit dem Anstieg der Herstellung haben seit dem Jahr 2000 auch die Altkleiderexporte drastisch zugenommen. Zu den führenden Exporteuren gehören die USA, Deutschland, Grossbritannien, Südkorea, China und Frankreich. Der Kleidungsabfall wird in den globalen Süden, vor allem nach Afrika, Südamerika und Asien exportiert. Wer glaubt, den betroffenen Ländern einen Gefallen zu tun, irrt sich. Der Second-Hand-Markt ist übersättigt. So türmen sich beispielsweise in Accra, der Hauptstadt Ghanas, Berge von verrotteten Kleidern. Bis zu 15 Millionen Einzelstücke kommen hier jede Woche mit Containerschiffen an. Und was früher gute Qualität war, ist heute eigentlich nur noch Abfall. Darum weigern sich jetzt mehr als 42 Länder, noch mehr Kleidermüll aufzunehmen, Das System der Second-Hand-Kleidung ist am Rande des Kollapses und die Frage, wohin mit den Altkleidern, bleibt unbeantwortet.

Rund ein Viertel der gesammelten Altkleider wird recycelt. Tatsächlich handelt es sich aber nicht um die Wiedergewinnung von Fasern zur Herstellung neuer Kleider. Die Stoffe werden meist geschreddert und zu Putzlappen oder Isolier- und Füllstoffen verarbeitet. Dies ist nur eine vorübergehende Nutzung und schlussendlich landen die Lumpen im Müll.

Dass die Fasern nicht recycelt werden, hat mehrere Gründe: Es ist sehr schwer, die Fasern zu identifizieren. Selbst wenn die Stoffe erkannt werden, verhindern die vielen Fasern-mixe, die Zusammensetzung unterschiedlicher Stoffe, Knöpfe und Reißverschlüsse, dass diese getrennt werden können. Die mechanische Trennung der Stoffe wäre zwar möglich, diese zerstört aber deren Qualität, sodass sie nicht mehr weiterverkauft werden können.

Ungleichgewicht zwischen Konsumentinnen und Arbeiterinnen

Ein weiteres Problem der Fast Fashion Industrie ist der Unterschied im Lebensstandard und Macht zwischen den Arbeiterinnen in den Fabriken und den Konsumentinnen der Kleider. Noch immer beherrschen koloniale Praktiken und Glaubenssätze die Industrie. So weisen die Lieferketten der meisten Marken dieselben Handelsrouten auf, wie schon vor 150 Jahren während des Höhepunkts der kolonialen Ausbeutung. Immer noch werden die Länder des globalen Südens durch die Gewinnung von Rohstoffen und Arbeitskräften ausgebeutet, was zum Wirtschaftswachstum und Erfolg des globalen Nordens führt.

Weiterhin beutet die Fast Fashion Industrie Länder aus, die unter den Folgen der Kolonialisierung leiden. Heute sind die Kolonisatoren amerikanische und europäische Marken, deren Geschäftsmodell daraus besteht, die ärmsten Teile der Welt auszubeuten. Und so sollten wir Konsument*innen in Europa uns fragen, ob wir es mit unserem Gewissen vereinbaren können, dass wir im Lebenszyklus von Fast Fashion Mode die glänzenden Vorzüge geniessen, während wir die Probleme der Produktion und der Entsorgung auf die ärmsten Länder der Welt abschieben.

Nun bist du dran

Ist aus den Augen wirklich aus dem Sinn? Was denkst du über die Fast Fashion Industrie? Wirst du immer noch bei grossen Marken einkaufen oder dein Konsum anpassen und vermehrt Kleider von Second-Hand-Läden kaufen?

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