Der Schweizer Frauenlauf

15.06.2022
Nicole Emch
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Zum 36. Mal fand am Sonntag, 12. Juni 2022 der Schweizer Frauenlauf in Bern statt. Nach einem Ausfall im Jahr 2020 und einer kleineren Veranstaltung im Jahr 2021, durften die Läuferinnen in diesem Jahr wieder auf der normalen Rennstrecke antreten. Doch warum gibt es eigentlich einen Lauf nur für Frauen und ist so eine Veranstaltung heute noch nötig?

Schon in den letzten Informationen, die den Läuferinnen Mitte Woche per Mail zugestellt wurden, war es geschrieben: Achtung, es wird heiss am Sonntag! Und so war es denn auch. Bereits als um 09:30 Uhr die ersten Läuferinnen zum Wettkampf antraten, war es warm. Am Nachmittag kletterten die Temperaturen auf gegen 30 Grad an. Nach den 10km Läuferinnen startete die Elite um 11:30 Uhr zum 5km Lauf, dem Klassiker am Frauenlauf. Kurz danach gingen weitere 2’300 Läuferinnen, darunter ich, auf die Strecke. Und die hohen Temperaturen machten den meisten zu schaffen. Umso grösser die Freude, wenn man nach einem «Cher» durch die Stadt, vorbei am Helvetiaplatz und dem Berner Münster das Ziel auf dem Bundesplatz erreichte, wo eine verdiente Abkühlung auf die Athletinnen wartete. Zum Abschluss des Tages waren dann am Nachmittag auch noch die Jüngeren an der Reihe. Auf einer 1,6km langen Strecke traten Mädchen mit den Jahrgängen 2009-2014 auf der Teens, Girls oder zusammen mit der Mama auf der Muki-Meile gegeneinander an. Die jüngsten Modis mit Jahrgang 2015-2017 schliesslich zeigten auf einer 500m langen Strecke, was in ihnen steckt.

36 Jahre hat der Frauenlauf nun schon auf dem Buckel. Zum dreissigjährigen Jubiläum waren über 16'000 Frauen dabei, dieses Jahr waren 7'000 Läuferinnen am Start. Deutlich weniger also als noch vor Corona. Das vor zwei Jahren ausgebrochene Jogging-Fieber scheint also nicht ganz bis heute anzuhalten. Als im Jahr 1987 zum ersten Mal ein Frauenlauf durchgeführt wurde, waren bereits über 2'000 Läuferinnen dabei. Der Start war damals am Helvetiaplatz, das Ziel 5km später im Schwellenmätteli. Später führte der Lauf durch ein Wohnquartier von Bern, seit einigen Jahren findet er nun mitten in der Stadt Bern statt und endet auf dem Bundesplatz.

Die Motivation am Anfang war denn auch eine politische. Die Idee war es, mit der Veranstaltung mehr Frauen zu motivieren, Sport zu treiben. Der Frauenlauf sollte dem Frauensport eine Plattform bieten. Denn lange Zeit waren der Sport und insbesondere Wettkämpfe eine Männerdomäne. Frauen durften gar nicht zum Start antreten. Kuriose Gerüchte machten noch in den 60er und 70er Jahren die Runde. Wenn eine Frau zu weit laufe, könne sie ihre Gebärmutter verlieren und somit nie mehr Kinder kriegen. Als Kathrine Switzer 1967 als erste Frau mit Startnummer am Boston Marathon startete, wurde sie übel beschimpft, die Rennleitung versuchte sogar, sie von der Strecke zu drängen. Zu Hilfe kamen ihr damals männliche Athleten und so schaffte sie es nach 4h 20 auch ins Ziel.

Viele weitere Pionierinnen setzten sich in den verschiedensten Sportarten dafür ein, dass auch Frauen wettkampfmässig an den Start gehen durften. Oft waren sie wie Kathrine Switzer feindlichen Kommentaren ausgesetzt, wurden ausgelacht oder zumindest belächelt. Doch dank ihrem Einsatz können heute weltweit Frauen dem Sport nachgehen und an Wettkämpfen zeigen, was sie draufhaben. Und das ist so einiges, wie gestern auch wieder der Frauenlauf gezeigt hat.

Der Frauenlauf – braucht es ihn heute noch?

Einige fragen sich vielleicht, ob es eine solche separate Veranstaltung nur für Frauen denn heute noch braucht. Jetzt wo die Frauen ja auch an allen anderen Läufen in der Schweiz starten dürfen, wo sie politisch gleichberechtigt sind, die gleichen Rechte wie Männer haben etc. Viele würden sagen, ja, der Frauenlauf soll auch weiterhin stattfinden. Einerseits weil unter den Teilnehmerinnen jeweils eine einmalige Stimmung herrscht. Die Freude, mal einen Event nur für Frauen zu haben und sich unter sich etwas Gutes zu tun, ist allen anzumerken. Andererseits sind viele Fragen in Bezug auf die Gleichstellung nach wie vor ungelöst. Lohngleichstellung, Kinderbetreuung etc. geben auch heute noch viel zu reden.

Der Frauenlauf ist deshalb jeweils auch ein Moment, um auf Themen aufmerksam zu machen, die Frauen besonders beschäftigen. Im DearMamma Village wurde zum Beispiel zum Thema Brustkrebs informiert. Wer auf das Thema aufmerksam machen wollte, konnte auch mit einem speziellen Shirt als Teil dieses Teams laufen. Auch Frauenclubs wie beispielsweise verschiedene Zonta Clubs, die einem weltweiten Netzwerk berufstätiger Frauen angehören, zahlreiche Damenriegen aus der ganzen Schweiz aber auch kleiner Gruppen von Freundinnen, die sich nach einer wöchentlichen Joggingrunde den Frauenlauf zum Ziel nehmen, gehen jeweils an den Start. Im Ziel wurde schliesslich allen Läuferinnen das Magazin «Sportlerin» verteilt, in dem jeweils Athletinnen aus den verschiedensten Sportarten porträtiert werden. Reine Frauenpower also!

Meine Meinung ist klar: nein, der Frauenlauf ist nicht ein Überbleibsel aus alten Tagen, sondern eine Veranstaltung, die auch heute noch ihren Wert hat. Ich freue mich auf jeden Fall schon auf die nächste Ausgabe, welche am Sonntag, 11. Juni 2023 stattfindet. Hoffentlich zeigt das Thermometer dann ein paar Grad weniger an…

Nun bist du dran

Warst du auch am Frauenlauf dabei oder kennst jemanden, der mitgerannt ist? Findest du es richtig, dass es einen Lauf nur für Frauen gibt oder ist das eine veraltete Veranstaltung?

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