Algerien war lange Zeit eine Kolonie von Frankreich. Der Einfluss von Paris in diesem Land war besonders gross, viele Franzosen wurden hier angesiedelt, das Land gehörte offiziell zum französischen Staats-Territorium. Doch politische Ungleichbehandlung und wirtschaftliche Probleme führten zu immer mehr Protoesten in Algerien. Die französische Herrschaft endete schliesslich in einem blutigen Unabhängigkeitskrieg. Die Beziehungen zwischen den beiden Ländern sind seither sehr angespannt.
Frankreich - eine Kolonialmacht
1830 besetzte Frankreich Algerien. Das war der Beginn des zweiten französischen Kolonialreichs, das sich hauptsächlich in Afrika ausbreitete. Nach Algerien kamen zahlreiche weitere Länder dazu, zum Beispiel Senegal, Mali, Tunesien oder die Elfenbeinküste. Algerien hatte aber immer eine Sonderstellung. Frankreich errichtet hier eine sogenannte Siedlungskolonie. Das heisst, dass zahlreiche Franzosen nach Algerien kamen, um hier zu leben. Der Einfluss von Frankreich war gross. Mitte des 20. Jahrhunderts lebten rund eine Million Europäer in dem Land, die klare Minderheit gegenüber den 9 Millionen Algeriern. Trotzdem kontrollierten die Europäer wichtige Positionen in der Politik und der Wirtschaft. Die Algerier besassen zwar auch die Staatsangehörigkeit von Frankreich, sie durften aber zum Beispiel nicht wählen. Dazu kamen wirtschaftliche Nachteile.
Befreiungskrieg
Ab 1945 gab es deshalb immer mehr Prototeste im Land. Die französische Armee antwortete mit Gewalt. 1954 kam es im ganzen Land zu Unruhen und der lange Befreiungskrieg begann. Dieser wurde insbesondere von der Nationalen Befreiungsfront Algerien (FLN) vorangetrieben. Die FLN wandte eine Guerilla-Taktik an und stellte die französische Armee in den bergigen Regionen vor grosse Probleme. Die Armee griff deswegen zu anderen Mitteln: Folter, Gewalt an Zivilisten, Umsiedelungen von Tausenden von Menschen. Der Konflikt gilt heute als Beispiel eines „schmutzigen Krieges“. Die zahlreichen Menschenrechtsverletzungen führten zu immer mehr internationaler Kritik. Auch in Frankreich selbst wurde der Krieg immer unpopulärer. Gleichzeitig wehrten sich aber die Algerienfranzosen gegen die Loslösung von Algerien. Auch wenn Frankreich militärisch überlegen war, kam es schliesslich zu Unabhängigkeitsverhandlungen. Zahlreiche Anschläge und Demonstrationen in Frankreich und in Algerien begleiteten diese Zeit.
Massaker in Paris
Der 17. Oktober 1961 war ein besonders schwarzer Tag. An diesem Tag demonstrierten Tausende Algerier in Paris friedlich für die Unabhängigkeit ihres Heimatlandes. 12‘000 Personen wurden festgenommen, in der Nacht kam es zu einem Massaker. Polizisten töteten über 100 Unbewaffnete (einige Schätzungen sprechen sogar von 300 Toten) und warfen ihre Körper in den Fluss Seine. Lange Zeit wurde über dieses Massaker geschwiegen. Emmanuel Macron nahm dieses Jahr als erster Präsident an einer offiziellen Gedenkfeier für die Opfer teil, 60 Jahre später.
Der Krieg endete schliesslich mit einem Waffenstillstand im März 1962 und der Unabhängigkeit von Algerien am 5. Juli 1962. Die traurige Bilanz des Krieges: rund 400‘000 algerische Tote und 25‘000 tote französische Soldaten. Der Algerienkrieg gilt heute als einer der grössten und blutigsten Unabhängigkeitskriege weltweit.
Was geschah nach der Unabhängigkeit?
Ohne den Schutz der französischen Armee floh ein Grossteil der Europäer, zum Teil auch «Pieds-Noirs» genannt, aus dem Land. Sie versuchten sich in Frankreich ein neues Leben aufzubauen. Doch ihr Heimatland kannten viele kaum, die Integration war schwierig. Auch jene Algerier, die als Gehilfen der französischen Armee gegen die Unabhängigkeit gekämpft hatten, sogenannte „Harkis“, flüchteten zu Tausenden. In Algerien selbst wurden sie als Verräter gejagt, Zehntausende wurden getötet. Die französische Regierung sah tatenlos zu. Jene, die nach Frankreich kamen, erhielten kaum Unterstützung.
Nun, fast 60 Jahre später soll mit einem neuen Gesetz offiziell anerkannt werden, dass sie ungerecht behandelt wurden. Für ihre Leistungen als Soldaten von Frankreich und die schlechte Behandlung, die sie in Frankreich erlebten, sollen sie eine Entschädigung erhalten. Diese Entschädigung gilt allerdings nicht für die Kinder und Enkelkinder der Harkis, die in Frankreich auch lange gelitten haben. Zum Beispiel wuchsen viele von ihnen in schäbigen Lagern auf und wurden in der Schule benachteiligt. Deshalb fordern sie immer noch Gerechtigkeit. In Algerien gelten die Harkis nach wie vor als Verräter und sind im Land nicht erwünscht.
Mit der Auswanderungswelle verlor Algerien damals viele gut Ausgebildete und Menschen, die die Wirtschaft im Land geprägt hatten. Der Neustart als unabhängiges Land wurde dadurch nicht einfacher. Frankreich seinerseits hatte lange gehofft, den Einfluss im Land weiter behalten zu können und Algerien als Zugangstor zum afrikanischen Kontinent zu nutzen. Die Beziehungen zwischen der ehemaligen Kolonie und Frankreich sind auch heute noch kompliziert. Immer noch leben zahlreiche Algerier in Frankreich. Die Geschichte und Gegenwart der beiden Länder sind weiterhin miteinander verwebt. Viele Fragen bleiben noch offen, da lange Zeit kaum über dieses dunkle Kapitel der Geschichte gesprochen wurde, über die Verbrechen, die auf beiden Seiten verübt wurden. Erst langsam wird dies nun nachgeholt, wie das Beispiel der Harkis zeigt.
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