Fünfzig Jahre Frauenstimmrecht
Vor fünf Jahrzehnten sagten die stimmberechtigten Schweizer Männer «Ja» zum nationalen Wahl- und Stimmrecht für Frauen. Welcher Kampf ging dieser Abstimmung voraus? Und konnte dadurch Gleichstellung erreicht werden?
In der Schweiz finden regelmässig Wahlen und Abstimmungen statt. Daran dürfen alle Schweizerinnen und Schweizer teilnehmen, die mindestens 18 Jahre alt sind und nicht wegen grundsätzlicher Urteilsunfähigkeit als handlungsunfähig gelten. Das ist doch klar, oder? Ja, aber erst seit 50 Jahren. Denn bis dahin war es fast undenkbar, dass sich auch Frauen in die Schweizer Politik einbringen. Erst am 7. Februar 1971 sagten die Schweizer Männer im Rahmen einer landesweiten Abstimmung «Ja» zum nationalen Stimm- und Wahlrecht für ihre Mütter, Schwestern, Ehefrauen und Töchter. Im Kanton Appenzell-Innerrhoden mussten die Frauen sogar bis 1990 warten.
Kampf für eine politische Stimme
Das männliche Stimmvolk in der Schweiz gab den Schweizerinnen als beinahe letzten Frauen in Europa ein politisches Mitspracherecht. Nur Portugal und Liechtenstein führten das Frauenwahlrecht später ein. Aus heutiger Sicht scheint das unbegreiflich. Wer aber glaubt, dass sich alle Schweizer Frauen mit ihrem nicht vorhandenen politischen Mitspracherecht abgefunden hätten, irrt sich. Dass das Wahl- und Stimmrecht 1971 mit einem deutlichen «Ja» angenommen wurde, ist dem unermüdlichen Kampf von zahlreichen unter ihnen zu verdanken.
Bereits 1868 forderten Zürcher Frauen das Wahlrecht ein – blieben aber erfolglos. Im ganzen Land folgten viele weitere Bemühungen starker Frauen, die zwar ebenfalls keine direkte Wirkung hatten, aber auf keinen Fall umsonst waren. Denn dadurch kam das Thema immer wieder in die Politik und somit in die Köpfe der Männer.
Anfang 1959 kam es schliesslich zur ersten nationalen Abstimmung. Damals wurde das schweizweite Wahl- und Stimmrecht für Frauen aber deutlich abgelehnt. Auf kantonaler Ebene dagegen konnten ab diesem Zeitpunkt laufend Erfolge gefeiert werden: Der Kanton Waadt gab den Frauen Ende 1959 das Recht zum Wählen und Abstimmen. 1960 folgte der Kanton Genf und in den Jahren bis 1970 kamen die Kantone Basel-Stadt, Basel-Landschaft, Tessin, Wallis, Luzern und Zürich dazu. Die Stimmen, die das nationale Wahl- und Stimmrecht für Frauen forderten, wurden immer lauter. Der Druck auf den Bundesrat wurde zunehmend grösser, weshalb er beschloss, Anfang Februar 1971 eine zweite Volksabstimmung zum Thema durchzuführen. Dadurch erhielten die Schweizerinnen auf nationaler Ebene endlich ihr politisches Mitspracherecht und somit Zugang zum Parlament. Bereits im Herbst desselben Jahres wurden zehn Nationalrätinnen und eine Ständerätin ins Parlament gewählt. Die meisten Kantone und Gemeinden, in denen Frauen bis dahin noch kein Wahl- und Stimmrecht hatten, führten es kurz nach oder zeitgleich mit dem landesweiten ein.
Weiterhin ein langer Weg
Dem über hundert Jahre andauernden Kampf mutiger Frauen haben wir es zu verdanken, dass Schweizerinnen seit fünf Jahrzehnten in der Politik mitmischen können. Wären sie nicht gewesen, wäre das nationale Wahl- und Stimmrecht für die Frauen wahrscheinlich noch später eingeführt worden. Die neue politische Gleichberechtigung war ausserdem ein sehr wichtiges Zeichen für die Gleichstellung von Mann und Frau. Trotzdem: Die Gleichberechtigung der Geschlechter gibt es in der Schweiz nach wie vor nicht. In der Politik und auf den Führungsebenen von Unternehmen gibt es noch immer deutlich weniger Frauen. Frauen verdienen weniger Lohn für die gleiche Arbeit. Unbezahlte Betreuungs- und Pflegearbeit wird vor allem von Frauen geleistet. Es gäbe noch viele weitere Beispiele, in denen Schweizer Bürgerinnen gegenüber ihren Mitbürgern auch heute noch benachteiligt sind. Der Weg bis zur politischen Gleichberechtigung war lang. Derjenige bis zur tatsächlichen Gleichstellung von Mann und Frau wird noch um einiges länger andauern.
Nun bist du dran
Was denkst du: Wieso wurde das Wahl- und Stimmrecht für Frauen in der Schweiz so spät eingeführt? Kennst du Länder, in denen Frauen noch immer kein politisches Mitspracherecht haben? Was müsste geschehen, damit Männer und Frauen in der Schweiz sowie weltweit gleichberechtigt sind?
Sprich darüber – und melde dich doch auch bei uns. Entweder mit einem Kommentar in der Kommentarspalte, auf Facebook oder durch unser Kontaktformular. Wir freuen uns auf Rückmeldungen.
Urteilsunfähigkeit
In der Schweiz muss eine Person handlungsfähig sein, um politische Rechte zu haben. Politische Rechte erlauben den Bürgerinnen und Bürgern, in der Politik Einfluss zu nehmen. Ein Beispiel dafür ist das Wahlrecht. Handlungsfähig ist eine Person, wenn sie mindestens 18 Jahre alt und urteilsfähig ist. Urteilsfähig sein bedeutet, dass jemand den Sinn und Zweck einer Handlung erkennt. Er oder sie begreift, dass das Verhalten Folgen haben kann und handelt daher entsprechend. Wer ist also nicht urteilsfähig? Das Gesetzt sagt, dass Kinder aufgrund ihres Alters Dinge oft noch nicht gut abschätzen können. Zudem gelten Personen, die aufgrund einer geistigen Behinderung, einer psychischen Störung, wegen Drogeneinfluss oder einem ähnlichen Zustand nicht vernünftig handeln können, als urteilsunfähig [(Artikel 16 des schweizerischen Zivilgesetzbuches (ZGB)).](https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/24/233_245_233/de#book_1/tit_1/chap_1/lvl_A/lvl_I_I/lvl_2/lvl_d) Es kann also sein, dass eine Person zwar über 18 Jahre alt ist, aber eine geistige Beeinträchtigung hat, die es ihr nicht erlaubt, den Sinn und Zweck einer Handlung zu erkennen. Dann gilt sie als grundsätzlich urteilsunfähig und damit auch als handlungsunfähig. Dadurch kann sie keine politischen Rechte ausüben.
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