Illegal adoptiert

16.11.2021
Samira Lussi
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Ein längst vergessener Skandal holt die Schweiz ein. In den achtziger Jahren wurden fast tausend Kinder illegal aus Sri Lanka adoptiert. Gegen den Willen der Mütter wurden sie mit gefälschten Papieren zu ihren Pflegeeltern in die Schweiz gebracht. Nun anerkennt die Schweiz als erstes Land die Verfehlungen bei Adoptionen aus Sri Lanka.

Im Februar zeigte ein Bericht der ZHAW (Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften), der vom Bund in Auftrag gegeben wurde, dass die Schweizer Behörden jahrelang illegale Adoptionen aus Sri Lanka gewähren liessen. 950 Kinder wurden zwischen 1973 und 1997 in die Schweiz adoptiert. Bei der Mehrheit dieser Adoptionen waren die offiziellen Dokumente unvollständig oder fehlerhaft und bei fast allen fehlte die Zustimmungserklärung der biologischen Eltern. Im Bericht schreiben die Autoren, dass die Kinder gegen Geld, Güter des täglichen Bedarfs und Luxuswaren eingetauscht worden seien. Einige Kinder seien gestohlen, Geburtsscheine gefälscht und die Herkunft verwischt worden.

Das Adoptionsgeschäft war lukrativ. Westliche Paare reisten nach Sri Lanka um Kinder zu adoptieren. In Strandhotels wurden in abgesperrten Hintergebäuden auf ausrangierten Matratzen Babys für sie bereitgehalten und gegen Geld eingetauscht. Zwischen 5’000 bis 15’000 Franken bezahlten die Schweizer Paare den Adoptionsvermittler*innen. Diese verdienten mit der Vermittlung eines einzelnen Kindes also mehr als ein sri-lankischer Lehrer in zwei Jahren. Immer wieder wurden die Schweizer Behörden über die illegalen Machenschaften informiert. Trotz eindeutiger Hinweise haben es Bund und Kantone unterlassen die Missstände zu verhindern.

Anerkennung durch Bundesrat

Im Dezember 2020 anerkannte der Bundesrat als erstes Land die Versäumnisse der Behörden bei Adoptionen aus Sri Lanka. Der Bundesrat bedauert, dass die schweizerischen Behörden Adoptionen aus Sri Lanka bis in die 1990er-Jahre trotz gewichtiger Hinweise auf teilweise schwere Unregelmässigkeiten nicht verhindert haben. Diese Versäumnisse der Behörden prägen das Leben der damals adoptierten Personen bis heute. Der Bundesrat bedauert, dass Bund und Kantone ihre Verantwortung gegenüber den Kindern nicht wahrgenommen haben. Im Medienbericht erklärt sich der Bundesrat bereit, betroffene Personen bei ihrer Herkunftssuche noch stärker zu unterstützen. Welche Massnahmen dafür zu treffen sind, wird von einer Arbeitsgruppe aus Vertreterinnen und Vertretern von Bund, Kantonen, Betroffenen und privaten Organisationen geprüft.

Eine dieser privaten Organisationen ist der Verein „Back to the Roots“ (Zurück zu den Wurzeln). Dieser wurde im Jahr 2018 von Adoptierten gegründet, mit dem Ziel, sich gemeinsam für die Interessen der adoptierten Personen aus Sri Lanka in der Schweiz einzusetzen und sich gegenseitig auszutauschen und zu unterstützen. Heute zählt der Verein 530 Mitglieder, wobei 189 Personen aus Sri Lanka und 28 aus weiteren Ländern adoptiert wurden.

Niederlande verbietet Adoptionen aus dem Ausland

Auch in den Niederlanden wurden während der 1970er Jahren rund 40’000 Kinder aus dem Ausland adoptiert. Wie in der Schweiz wurden viele von ihnen illegal vermittelt. Auch wenn Adoptionen heute besser kontrolliert werden, ist das System bis heute anfällig für dubiose Praktiken. Aus diesem Grund können vorerst in der Niederlande keine Kinder aus dem Ausland mehr adoptiert werden.

Arbeitsmaterial

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