Was ist los in den Schulen im hohen Norden?

15.12.2021
Nicole Emch
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Finnland: eisige Temperaturen, verschneite Landschaften, Rentiere und Hundeschlitten. All das kommt mir in den Sinn, wenn ich an dieses Land im Norden von Europa denke. Doch heute geht es nicht um Reisetipps für die Winterferien. Finnland ist nämlich seit langer Zeit auch bekannt für sein gutes und faires Schulsystem. In den PISA-Studien hat das Land jahrelang sehr gut abgeschnitten. Seit einiger Zeit geht es allerdings bergab. Warum?

Als im Jahr 2000 zum ersten Mal die PISA-Studien durchgeführt wurden, erzielte ein Land besonders gute Resultate: Finnland. Und das wiederholte sich in den Jahren darauf. Die PISA-Studien werden alle drei Jahre in den meisten OECD Mitgliedstaaten und verschiedenen Partnerländern durchgeführt. Bei der letzten Durchführung 2018 nahmen 79 Länder daran teil. Getestet werden jeweils die Kenntnisse in Lesen, Mathematik und Naturwissenschaften von 15-Jährigen. Ziel ist es zu schauen, wie gut Jugendliche für schulische und berufliche Herausforderungen gewappnet sind. Und in Finnland schien dies besonders gut zu klappen. Schnell wurde das Land zum Musterschüler. Alle interessierten sich dafür, was Finnland bei den Tests so erfolgreich machte. Was war anders in den finnischen Schulen? Waren die finnischen Jungen und Mädchen einfach schlauer als der Rest der Welt? Gingen sie länger zur Schule als andere Kinder? Waren die Lehrer*innen dort besser? Hier ein paar Fakten: die Schultage in Finnland sind eher kürzer als in anderen Ländern. Anders als zum Beispiel in einigen asiatischen Ländern, die auch immer gute Resultate in den PISA-Studien erreichen, gibt es in der Schule keinen Drill. Das heisst, die Stimmung ist nicht so streng wie in diesen asiatischen Ländern. Die Kinder haben Freizeit und müssen nicht nach der Schule noch von einer Nachhilfestunde zur nächste rennen.

Wie also erklärt sich der Erfolg von Finnland, wenn die Kinder dort weder länger zur Schule gehen noch einen viel strengeren Tagesablauf haben? Ein Hauptgrund der viel genannt wird, ist dass die Chancengleichheit viel höher ist als anderswo. Das heisst, egal aus welcher Familie man stammt, ob die Eltern nun Universitätsprofessoren oder Verkäuferinnen sind, ob beide Eltern aus Finnland stammen oder aus einem anderen Land eingewandert sind, egal ob Mädchen oder Junge, die Kinder sollen in der Schule die gleichen Chancen haben. Sie sollen alle eine ausgezeichnete Bildung geniessen und gut vorbereitet ins Berufsleben starten. Nicht umsonst sind die Finninnen und Finnen stolz auf ihr «egalitäres» System. Im Duden wird «egalitär» so erklärt: «auf politische und soziale Gleichheit gerichtet». Chancengleichheit also als Schlüssel zum Erfolg? Weitere Antworten, die oft genannt werden, um das gute Abschneiden von Finnland zu erklären sind Freiheiten, die Schulen geniessen. Die Vorgaben, was wie gemacht werden muss, sind also nicht so streng wie in anderen Ländern. Zudem ist der Lehrberuf sehr angesehen. Lehrer*innen geniessen viel Respekt in der Gesellschaft. Und sie werden gut bezahlt.

Auf einmal werden die Resultate schlechter – was ist passiert?

Die Erfolge von Finnland waren lange Zeit so beeindruckend, dass Beobachter*innen aus der ganzen Welt in das Land reisten. Sie liessen sich das Bildungssystem erklären und versuchten, Elemente daraus mit in die Heimat zu nehmen und im eigenen Schulsystem einzubauen. Doch seit 2006 sind die Leistungen Finnlands zwar immer noch gut, doch sie sinken im Vergleich mit anderen Ländern. Bei den letzten PISA-Studien im Jahr 2018 landete Finnland im Leseverstehen noch auf dem 6. Rang. Im Rechnen reichte es sogar nur noch auf Platz 16. Mittelmass statt Spitzenreiter also. Wie kommt das?

Verschiedene Studien haben gezeigt: die Chancengleichheit ist vielleicht doch nicht so gross, wie man gerne glauben würde. Herkunft und Geschlecht sind entscheidend für die Leistungen der Schüler*innen. Auch gibt es grosse Unterschiede zwischen den einzelnen Schulen. Wo man in die Schule geht, hängt also auch damit zusammen, wie man später im Leben abschneidet. Auch die Unterschiede zwischen den Geschlechtern haben zugenommen. Die Mädchen lesen gerne, Jungen gelten als Lesemuffel. Was sich im Vergleich zu früher geändert hat, ist die Zahl an schwachen Leistungen. Viele schwache Schüler stammen zudem aus Familien mit ausländischen Eltern. Klappt die Integration also doch nicht so gut? Die Unterstützung dieser Schüler scheint in anderen Ländern viel besser zu klappen. Das kann damit zusammenhängen, dass Kinder erst spät, mit 7 Jahren, eingeschult werden. Die Schultage sind zudem relativ kurz. Diese beiden Faktoren sind besonders schwierig für Kinder, die zuhause kein Finnisch sprechen, haben sie doch so weniger Zeit, die Sprache zu lernen.

Nasima Razmayar ist in der Hauptstadt Helsinki zuständig für die Bildungs-Politik. Sie selbst stammt aus einer afghanischen Flüchtlingsfamilie und hat den Weg an die Spitze geschafft. Sie sagt das Land müsse aufpassen. Die Resultate der Studien deuteten auf eine Spaltung der Gesellschaft hin. Und das sei nicht gut für die Zukunft. Was in Finnland gilt, gilt auch für die Schweiz. Nur wenn alle dieselben Chancen haben, in der Schule erfolgreich zu sein, kommen wir als Gesellschaft voran. Und wenn jemand von Zuhause keine Unterstützung erhält, müssen wir unbedingt die sonstigen Angebote verbessern. So dass wirklich jede und jeder seinen eigenen Weg gehen kann. Das muss das Ziel sein, für Finnland aber auch für die Schweiz.

Nun bist du dran

Wie sieht es bei dir in der Schule aus? Denkst du, alle haben die gleichen Chancen, gute Leistungen zu erreichen? Erhältst du zuhause Unterstützung beim Lernen oder machst du alles selbst? Was hältst du von solchen Schultests? Hast du selbst schon einmal bei einer PISA-Studie mitgemacht oder kennst jemanden, der daran teilgenommen hat?

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